gastmahl der distanzierten beschmutzer

gezählt, gewogen, geteilt

Hintergrund

Arztpraxen und gekachelte Schlachthof-Innenräume waren noch nie so richtig Orte des gemütlichen Verweilens, noch weitaus weniger in Zeiten einer Pandemie. Die wie von Geister- oder auch Virologenhand vor Jahren schon angesprochene potenzielle Bedrohung wurde beherzt ins Reich der Phantasmen verbannt, heute bemüht man sich um Schadensbegrenzung. Dem Regenten Belsazar wurde einst dazumal sein naher Tod und der Zerfall seines Reiches angekündigt. Die Parallelen sind frappierend!

Angelehnt an analytische sowie gestalt- und schematherapeutische Konstrukte beschäftigt sich dieses Werk ebenfalls mit dem Konzept der Prägung, und kann als Erweiterung des Bildes „Das Introjekt“ verstanden werden. Das überdauernde und widerstandsfähige elterliche Vermächtnis wird auch hier symbolisiert durch den in sich geschlossenen Sauerstoffkreis, dazu noch potenziert durch den „militanten“ Charakter der Marinekämpfer.

Kind-Anteil (grün), Erwachsenen-Ich (rot) und introjizierte Elternanteile (INRI) stellen als Pendant zu Es, Ich und Über-Ich die zentrale Trias und Triebfeder des menschlichen Lebens dar, im steten Wechselspiel mit unserer Umwelt. Der geschlossene Raum versinnbildlicht die Terminiert- und Gesetztheit des Reifungsprozesses unter gegeben Bedingungen; vom Kind zum Alternden, von grün zu rot, von links nach rechts, vom Anfang bis zum Ende. Im ungünstigen (wie hier psychiatrischen) Falle führen dysfunktionale Erfahrungen, Lifetime-Events und Prägungen zur Morbidität, schlimmstenfalls auch Mortalität. Die Umrisse auf der Krankenliege sowie die Übergrösse der den Farbtopf haltenden Hand verkörpern die Schwere und das Ausmass der Bürde im Hier-und-Jetzt.
Die unheilverkündenden Vorzeichen, oft bereits schon in frühen Jahren erkennbar, nähren die Tragik des vermeintlich nicht aufzuhaltenden Entwicklungsverlaufs: Das von Geisterhand geschriebene Menetekel (Bildzitat: „Das Gastmahl des Belsazar“, Rembrandt, 1635) wirft beim Beobachter (und Therapeuten) die Frage auf, inwiefern un-verheissungsvolle Lebensverläufe als beeinflussbar, veränderbar oder gar korrigierbar gesehen werden können, oder vielmehr die Tage im Voraus „gezählt“, der Betroffene unabdingbar „gewogen“ und für zu leicht befunden, und das Lebensreich als vorzeitig „geteilt“ erachtet werden müssen.

Die Darstellung stösst somit unweigerlich eine Diskussion über die Haltung zum (In)Determinismus sowie letztlich der religions-philosophischen Theodizeeproblematik (insbesonders auf psychischer Ebene) an.

  • Künstler Andreas Wacker
  • Jahr 2013
  • Details Oil on Canvas
  • Maße 130x90cm
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