das goldene calw

Hintergrund

Dem Themenkomplex des „Exodus“ (siehe Zuggraffiti) verschrieben, widmet sich dieses Werk ganz dem „Ausgang“: Sowohl dem psychischen Ausgang, konkret also aus einer Unmündigkeit im weitesten, jedoch auch ganz im kantschen Sinne, als auch in physischer Hinsicht, womit bspw. die Reiselust als Sinnbild eines Autonomiestrebens in den Mittelpunkt gerückt wird. Vor einem biografisch geprägten Hintergrund des Bildes werden diese beiden Dimension in unmittelbare Verbindung zueinander gebracht, womit sich auch der Titel des Werkes besser verstehen lässt -zieht man zusätzlich schematherapeutische Betrachtungsweisen hinzu: Ausgehend von der axiomatischen Annahme unabdingbarer Grundbedürfnisse, welche allen Menschen gemein sind und die stets nach Befriedigung streben, können diese unterteilt werden in die Bereiche Bindung, Autonomie und Kompetenz, Kontrollerleben, Selbstwerterhöhung sowie hedonistische Lustsuche/Unlustvermeidung. Im Rahmen der Entwicklung können diese jedoch nebst einer Befriedigung auch über- oder unterversorgt werden, womit es zur Entstehung sog. maladaptiver Schemata kommen kann, d.h. verinnerlichte Haltungen oder Verhaltensimpulse, die in der Gegenwart als massgeblich handlungsleitend gesehen werden können und letztlich nach Nachstillung der verletzten Grundbedürfnisse streben. Versteht man das Bild nun als „Visualisierungsversuch“ zur Schaffung eines vertieften selbstreflexiven Verständnisses für die eigenen Handlungsmuster, so erschliesst sich dem Betrachter zunehmend der dahinterliegende Sinn: Verletzte resp. nichtbefriedigte Grundbedürfnisse aus der eigenen Entwicklungsgeschichte sowie dessen (teils) verzweifelte Kompensationsversuche stellen das zentrale Moment des Werkes dar. Aufgewachsen in einem überprotektiven Umfeld entstehen tief verankerte Glaubenssätze, die die Welt als gefährlich, unberechenbar und feindlich erscheinen lassen, der man zudem alleine schutzlos ausgesetzt sei. Das unentwegte Streben nach Eigenständigkeit und Unabhängigkeit, nach Selbstwirksamkeitserleben und Falsifizierung der einengenden Grundannahmen kann somit als „Selbstheilungsversuch“ gesehen werden, in Ausmass und Intensität jedoch fraglich. Einer eindeutigen Wertung oder Beantwortung dieser Frage entzieht sich das Bild, stellt es doch lediglich die Dynamik und die stets „verlockenden“ Handlungsimpulse dar. Der junge Mann, der in gebeugter Haltung eine autoerotische Handlung vollzieht (Autofellatio), geniesst in selbigem Moment ein Maximum an Autonomie, da unabhängig von einem Gegenüber, pervertiert jedoch zugleich den tieferliegenden Sinn und die soziale Komponente der Sexualität bzw. im erweiterten Sinne der Inter-Personalität. Der dennoch hohe Attraktivitätswert dieses Strebens wird durch die Vergoldung des Unterkörpers versinnbildlicht, in Anlehnung an die mythische Sage des König Midas. Hierin kommt zugleich auch die Tragik des überkompensatorischen Autonomiestrebens zur Verdeutlichung: Das vorder-gründig Verheissungsvolle kann sich im unguten Falle zum Fluch umkehren. Die Wahl der Szene (goldener Bahnhof, goldener Zug) unterstreicht ebenfalls das (vermeintliche) Heilsversprechen der (Pseudo-) Autonomie, manifestiert in einem nahezu unbändig-baren Freiheitsdrang, wie man ihn auf Rucksackreisen oder in darob gehäuft gescheiterten Beziehungen erleben kann. Den Umkehrschluss, inwieweit die Räumlichkeit auch einen „goldenen Käfig“ darstellen könnte, der „Zug“ eventuell „schon abgefahren“ und man in seinem maladaptiven Schema gefangen ist, lässt das Werk bewusst offen. Allein der Wunsch nach Ausbruch/Ausgang aus dem so erkannten Lebens-konzept/der Götze wird mit dem geschlachteten Goldenen Kalb angedeutet. Doch der innere Antreiber, scheinbar entmachtet und mit Büssermütze in die Ecke gekehrt, lockt unentwegt mit der goldenen Karotte...

  • Künstler Andreas Wacker
  • Jahr 2014
  • Details Acryl-Airbrush on Canvas
  • Maße 100x160cm
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