dichotisches sehen im störschall

Hintergrund

Als dichotisches Hören versteht man die Fähigkeit, gleichzeitig auf beiden Ohren eintreffende, aber unterschiedliche Schallsignale unabhängig voneinander zu verarbeiten. Beim Sehen resp. Durchschauen ist dies weitaus subtiler, da nicht zwischen rechts und links, sondern intuitiv zwischen richtig oder falsch, real oder fiktiv differenziert wird. In Zeiten von Corona wohl die größte Herausforderung, woraus nicht selten apokalyptische Angst, Verunsicherung und Zerrissenheit resultieren.

Kompositorisch angelehnt an Jean-Paul Laurens Meisterwerk "Die Exkommunizierung von Robert des Frommen" (1875) widmet auch dieses Bild sich vorrangig dem Starrsinn und der mit Eingebildetheit gepaarten Engstirnigkeit; weniger in Hinblick auf das Klerikale wie bei Laurens, vielmehr hinsichtlich der ebenso totalitäre Züge und Religionscharakter aufweisenden Borniertheit gewisser Zeitgenossen.

Der Verstossene, im Bild der Maler selbst anstelle Roberts II., scheint konfrontiert mit den Konsequenzen seines Handelns: Als Folge seiner Beharrlichkeit und seines konsequenten Einstehens für persönliche Belange sieht er sich nun ausgestossen aus der Gemeinschaft der Gläubigen resp. der sich allein-richtig-glaubend Wähnenden. Im Sinne dieser Beugestrafe soll der Widerständler zur Vernunft, und damit zur Beendigung seines vermeintlichen Fehlverhaltens gebracht werden.

Welch unerträgliche Spannungen und düstere Erlebniswelten sich hierdurch im Verurteilten auftun, vermitteln die verzerrten Fratzen und Dämonenwesen, entlehnt aus der boschesken Bildsprache Jonas Burgerts.

Um Menschen gefügig zu machen oder sie einzuschüchtern, gibt es nebst physischer Gewalt eine Vielzahl subtilerer Methoden. Beispielsweise nennt man Gaslighting eine bestimmte Form von Manipulationstechnik, bei der der Missbraucher seinem Opfer verfälschte Informationen gibt, mit der Absicht, dass dieses an sich selbst, seiner Wahrnehmung, seinem Verstand oder gar seiner psychischen Gesundheit zu zweifeln beginnen möge. Die drei schizophrenen Jünglinge sowie der Kataleptiker verbildlichen hierbei sehr gut, welch "irres" Ausmass dies mit der Zeit anzunehmen vermag. Als Schmankerl darf hierbei der Gotteshelm des kanadischen Neurologen Michael Persinger nicht fehlen, stellvertretend für die Suggestibilität und Induzierbarkeit von Glaubenssätzen (im Placebo-Sinne).

Auch der Titel des Bildes verweist uns auf die besagte Zerrissenheit: Als dichotisches Hören versteht man die Fähigkeit zur auditiven Separation, d.h. in der Lage zu sein, gleichzeitig auf beiden Ohren eintreffende, aber unterschiedliche Schallsignale unabhängig voneinander zu verarbeiten. Beim Sehen resp. Durchschauen ist dies weitaus subtiler, da nicht zwischen rechts und links, sondern intuitiv zwischen richtig oder falsch, real oder fiktiv differenziert wird. Ein Punkt, an dem Gaslighting ansetzt und zu seiner vollen Potenz hinsichtlich des emotionalen Psychoterrors bzw. systematischen Missbrauchs erwächst.

  • Künstler Andreas Wacker
  • Jahr 2019
  • Details Oil on Canvas
  • Maße 100x68cm
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